Kriegserfahrungen (2) |
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ALLIERTE
LUFTANGRIFFE Ende
1940 zogen meine Schwester Edith und ich zu unserem Onkel Max und Tante Paula und ihrer
Familie ins niederländischen Dorf Dinxperlo. Es lag unmittelbar an der deutschen Grenze,
die hier ein hoher Stacheldrahtzaun fast mitten durch das Dorf war. Diese Grenze zwischen
den Niederlanden und Deutschland trennte Dinxperlo von Suderwick, einem deutschen Dorf. Unser Haus stand nicht weit vom Postamt. Auf dem Dach war die Sirene, die Luftalarm gab, wenn Bomber sich näherten. Dinxperlo war kein Ziel für die Bomber, wohl aber das angrenzende Deutschland und so bald die Sirenen in den deutschen Orten zu heulen begannen, begann auch die Sirene auf unserem Postamt und weckte einen jeden. In den ersten Monaten drehte ich mich einfach um zum Weiterschlafen. Meine Schwester aber versuchte mich dazuzubringen unten mit meiner Tante und meinem Cousin Alfred das Ende des Angriffs abzuwarten. Manchmal war das Bombardment sehr schwer und kam es ganz nahe an uns heran. Alles bebte und ich konnte in meinem Schlaf die schweren Bomben tosen und pfeifen hören.Weil keiner im Dorf einen Schutzkeller besaß, konnten wir nur wenig tun. Mit dem Verlauf der Monate wurden die Bombardierungen heftiger. Hunderte schwere Bomber überflogen unser Dorf. Die Deutschen hatten Scheinwerfer und Luftabwehr in dem Gebiet aufgebaut und schossen einige Flugzeuge ab. Zur gleichen Zeit kamen deutsche Jäger aus der anderen Richtung. Der Himmel über unserem Dorf wurde nachts zu einem Kampfplatz. Getroffene Bomber versuchten in der Luft zu bleiben, indem sie ihre schwere Bombenladung fallen ließen. Es wurde fast unmöglich, zu schlafen und es war sehr gefährlich, wenn brennende Flugzeuge abstürzten und Bomben auf das Dorf fielen. Wir hatten bis dahin Glück; nur wenige Häuser waren getroffen worden. Die meisten Bomben fielen ins offene Feld, wo sie enorme Krater zurückließen. Flugzeugteile und andere Bruchstücke flogen überall herum. Manchmal gelang es Besatzungsmitglieder aus dem Flugzeugwrack zu kriechen, aber meistens nahmen die Deutschen sie sofort fest. Einige landeten bei örtlichen Bauern, die ihnen mit großer Gefahr halfen, sich zu verstecken. Gewöhnlich wurde die Besatzungen, insbesondere die Piloten, getötet. Die deutsche Armee gab ihnen am Tag darauf ein Militärbegräbnis, was ich nie ganz begriffen habe, denn für die Deutschen waren sie der Feind. Im Frühling 1942 war die einzig ruhige und friedliche Zeit die, in der/als das Wetter zu schlecht zum Fliegen war. Die Amerikaner begannen damit ihre Angriffe tagsüber zu tun und es schien mir, daß jeder der Deutschland bombardieren wollte, den Luftraum über unserem Dorf durchfliegen mußte. Manchmal begann der Tagesangriff so bald der Nachtangriff vorbei war. Trotz allem gab es wenige Bombenopfer in Dinxperlo. Anfang 1943 wurden wir gezwungen das Dorf zu verlassen, als die Deutschen alle Juden in den Provinzen verhafteten. Wir wurden ins Konzentrationslager Vught geschickt. Meine arglose Schwester war wegen der andauernden Bombardierungen fast froh das Dorf zu verlassen. Sie ahnte, natürlich, nicht was uns noch bevorstand. Trotz der andauernden und zufälligen Bombardierungen entkam Dinxperlo schwerem Schaden und Opfern bis März 1945. Wie man in Willy Liebers Buch Oorlog in de achtertuin und im Buch Dinxperlo in oorlogstijd von A.J. Lammers nachlesen kann, stieß die Britische Armee beim sich Nähern der deutschen Grenze auf heftigen Widerstand von deutschen Truppen, die in Dinxperlo und nächster Umgebung stationiert waren. Das Dorf wurde ab Mitte März mehrmals mit Granaten beschossen. Die letzten fünf Märztage, an denen andauernd schwere Granatbeschüsse stattfanden, bleiben als Dinxperlos dunkelste Tage in Erinnerung. Am 30. März 1945, Karfreitag, zog die deutsche Armee sich zurück. Der Ort und das umliegende Gebiet waren schwer beschädigt und es gab viele Opfer unter der Zivilbevölkerung. Die meisten Einwohner hatten sich versteckt, um sich zu schützen. Am 31. März 1945 befreite die 51e Highland Division der britischen Armee Dinxperlo definitif. Ich kehrte nach dem Krieg nicht nach Dinxperlo zurück. 1989 besuchte ich den Ort zum ersten Mal und erkannte ihn nicht wieder. Dinxperlo war größer geworden en sah blühend aus. Das alte Postamt war wiederaufgebaut worden. Ich konnte die Stelle, wo unser Haus gestanden hat, wiederfinden. Ich wußte nicht, ob es das alte Haus war oder ob es wiederaufgebaut worden war, aber es schien mir das Gleiche zu sein. Als ich auf die Tür klopfte, reagierte keiner. Vielleicht war niemand zu Hause oder wollte derjenige, der im Haus war, nicht antworten. Es gab kein Stacheldraht mehr zwischen Dinxperlo und Suderwick. An der Straße, die die Grenze bildet, standen an der deutschen Seite andere Straßenlaternen und der Straßenname wurde etwas anders geschrieben als an niederländischer Seite. Dies war das einzige Zeichen, daß man die Grenze überquert hatte. Dies war nicht das Dinxperlo, das ich gekannt habe. Es waren keine Juden übrig geblieben in einem Dorf, das einst eine jüdische Gemeinde mit einer eigenen Synagoge hatte. Ich fühlte mich ein Fremder und bin nicht lange geblieben. 1997 besuchte ich Dinxperlo erneut, weil ein Denkmal an der Stelle errichtet worden war, an der einst die Synagoge stand. Darauf stehen die Namen der Juden aus Dinxperlo, die im Holocaust umgekommen sind, unter denen alle Kinder, die meine Freunde waren. Von einer Gemeinschaft von etwa 60 Personen überlebten nur wenige. Von den Deportierten kamen nur vier wieder. |
Fred Spiegel (USA) |
Kamp Vught Kamp Westerbork |
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